6 Wochen

Verdammt, wie sehr ich doch diese sechs Wochen im Jahr hasse. Sie beginnen mit trauriger Regelmäßigkeit am 1. Mai und enden am 11. Juni. Wochen voller Albträume in der Nacht und einem Gedankenstrudel am Tag, der mich immer wieder zum schwarzen Loch in der Mitte treibt.

Dabei hatte ich mich schon im April darauf vorbereitet, daß diese Wochen kommen würden und versucht, positiv damit umzugehen. Doch es gelingt mir nicht.

In diesen Wochen durchlebe ich immer und immer wieder die sechs Wochen im Jahr 2004: das Wissen, am 1. Mai schwanger geworden zu sein, alle Zweifel und Hoffnungen, der ganze Schmerz. Immer wieder das Abwägen zwischen den beiden Entscheidungen, das Kind zu bekommen und damit weitere vier Jahre an den Vater gebunden zu sein oder zum Sozialfall zu werden, wenn ich mich trenne. Oder eine Abtreibung durchführen zu lassen, um mein Leben und das meiner Tochter selbst in die Hand zu nehmen. Ende meiner Albträume ist immer der Tag des Abbruchs am 11. Juni, die Zeit bevor die Narkose wirkt und die Stunden nach dem Eingriff.

Und dann gibt es die anderen Albträume. Bilder von D., wenn er mich angegriffen hat.

Das erste Mal, als er zunächst in seiner Alkohol-Wut die Sachen in seiner nächsten Umgebung zerschlug, sich dann auf mich stürzte und mich würgte, bis ich keine Luft mehr bekam. Danach die Kleine, gerade erst einige Wochen alt, aus ihrem Bettchen holte, mir drohte, sie mit sich zu nehmen und nie wieder zu kommen. Und in diesem Moment fühle ich noch immer die Angst in mir, daß er sich in seinem Zustand ans Steuer setzt, die Kleine dabei und etwas passieren würde.

Das zweite Mal, als er wieder im Rausch auf mich einschlug, ich mich ins Wohnzimmer flüchtete. Er rannte hinter mir her, stand dann vor mir, das Gesicht wutverzerrt, die Faust zum Schlag geballt. Merkwürdigerweise sehe ich dann immer nur auf diese Faust, sehe Blut an seiner Hand und überlege, woher es kommt. Dabei weiß ich ganz genau, daß es mein Blut ist.

Das dritte Mal, als ich glimpflich davon gekommen bin, weil seine Eltern dabei waren, von mir in meiner Panik gerufen. Trotzdem schlägt er mich, sogar in ihrem Beisein. Die Polizei, die ihn aus dem Haus brachte. Und seine Mutter, die mich bekniet, ihm zu verzeihen, des Kindes willen.

Das vierte Mal, diesmal nüchtern. In ohnmächtiger Wut habe ich ihn angeschrieen, weil ich wieder einmal entdeckt habe, daß er sich mit einer anderen Frau hinter meinem Rücken vergnügt hat. Ich habe es satt, will ihn herauswerfen, nehme schon seine Koffer und beginne, seine Sachen zu packen. Doch er kommt mir hinterher, schlägt mir ins Gesicht, stößt mich gegen den Kleiderschrank, so daß die Tür eingedrückt wird. Packt mein T-Shirt, daß es mir die Luft abschnürt, bevor es endlich zerreißt und stößt mich zu Boden.

Das letzte Mal, die Trennung war schon beschlossene Sache, er blieb nur bei uns, um sich eine eigene Wohnung zu suchen. Wieder im Alkoholrausch schlägt er immer und immer wieder auf mich ein, überall, am schlimmsten im Gesicht. Und ich rette mich mit dem Telefon ins Bad, rufe die Polizei an, während er die Badezimmertür aufbricht und mich weiter verprügelt, während die Polizei am anderen Ende der Leitung ist. Das Eintreffen der Polizei, die mich sofort ins Krankenhaus bringen wollen, weil mein ganzes Gesicht zugeschwollen ist. Das Ende der Beziehung.

Diese Albträume sind schlimmer als die vom Abbruch. Und ich glaube, daß mein Unterbewusstsein sie wieder hochspült, um ein Gegengewicht zum Abbruch zu bringen, um mir zu zeigen, daß meine damals getroffene Entscheidung richtig war. Trotzdem schmerzen sie unglaublich, weil sie mir auch zeigen, daß ich kaum imstande war, mir selbst zu helfen. Und wie dumm ich gewesen bin, ihm immer wieder zu verzeihen.

Im letzten Jahr waren diese sechs Wochen besser zu ertragen. Ich liebte und wurde geliebt, dieses Gefühl gab mir Halt und Sicherheit. Doch in diesem Jahr scheint die Mitte des Strudels schwärzer zu sein, als in den Jahren davor. Was passiert ist, hat das Loch nur noch größer und tiefer werden lassen. Denn was mir geblieben ist, ist nur meine Liebe, unerfüllbar und mich täglich zu Boden werfend.

Die Zeit heilt alle Wunden? Nein, tut sie nicht. Sie macht sie teilweise erträglicher. Doch nicht alle Wunden heilen, manche hinterlassen deutlich sichtbare Narben und die ganz tiefen Wunden reißen immer wieder auf.

Diese Wunde jedoch scheint nie mehr zu verheilen und es gibt nur einen einzigen Menschen, der davon weiß. Niemandem sonst erzähle ich davon, alle glauben, ich wäre schon längst über dem Berg. Würde ich davon erzählen, wäre die Reaktion wohl nur Fassungslosigkeit, darüber, daß ich einfach nicht loslassen kann. Daß ich mein Herz nicht freimachen kann und will.

Gedanken über Gedanken - sechs Wochen lang, immer wieder und wieder. Gedanken über den Abbruch, über D. und meine verlorene Liebe.

Irgendjemand warf mir in den Kommentaren vor, ich gehöre zu den Frauen, die Abtreibung propagieren würden, andere dazu treiben. Dem ist jedoch nicht so. Ich bin zwar froh, daß es diese Möglichkeit gibt. Und ich denke auch heute noch, daß, nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Möglichkeiten, der Abbruch eine gute Lösung ist. Doch diejenige, die diese Entscheidung tatsächlich und nicht leichtfertig getroffen hat, wird von den Gedanken und Zweifeln nie mehr frei werden.
Vorleben
NibblesChris - 2007.05.06, 12:34

Ich denke an dich!
*drück*

SingleMama - 2007.05.06, 12:51

Danke! *umarm*
Xchen - 2007.05.06, 12:48

*umarm*

SingleMama - 2007.05.06, 12:51

*ganzstillumarm*
Hoshi - 2007.05.06, 14:01

vorsichtig umärmel :(

SingleMama - 2007.05.07, 12:13

Danke!!! *umarm*
page - 2007.05.06, 14:30

lieb an dich denk, ganz viel kraft schickend.

SingleMama - 2007.05.07, 12:13

Ich danke für die Kraft - ich hoffe nur, daß ich sie richtig einsetzen kann.
hexamore - 2007.05.06, 20:34

*aucheinfachstillumarm-und-an-dich-denke*

SingleMama - 2007.05.07, 12:13

*ganzfestumarm*
blognachbarin (Gast) - 2007.05.06, 21:21

nie mehr frei

Einer der ersten Blogs, über die ich gestolpert bin, als ich selbst damit anfing, war Deiner. Damals noch in der anderen "Siedlung". Daher bin ich mit Deiner Geschichte vertraut.
Dann passierte es mir selbst, letzten Herbst: Ich wurde ungeplant schwanger und habe abgetrieben. Im Blog habe ich das nie erwähnt, weil - wie auch bei Dir - nur zwei Menschen in meiner Umgebung davon wußten, und einige mehr mitlasen.
Sehr oft habe ich seither an Dich gedacht. Wie mutig ich es finde, die ganze Geschichte öffentlich zu erzählen. Ich habe mich gefragt, ob Dir das hilft. Ob es mir geholfen hätte? Lange dachte ich, das Schlimmste sei vorbei. Aber jetzt, rund um den errechneten Geburtstermin, falle ich in ein finsteres Loch und die Gedanken kreisen.
Auch meine Entscheidung war zum damaligen Zeitpunkt die richtige. Trotzdem verfolgt mich dieses "Was wäre wenn". Und: Ich möchte das Recht habe, Abschied zu nehmen. Eine Frau, die ihr Kind verliert (was in der Frühschwangerschaft ja gar nicht selten ist), bekommt Trost von ihrer Umgebung, darf trauern. Ich muss so tun, als wäre nichts.
Was Deine sechs Wochen betrifft, möchte ich Dir das hier mitgeben:
http://www.poeticexpressions.co.uk/POEMS/This%20too%20will%20pass.htm
Ich nehm's mir auch zu Herzen, versuch's wenigstens.

Xchen - 2007.05.07, 11:45

Liebe Blognachbarin

Leider stossen auch Frauen, die Kinder verlieren - sei es Frühgeburt oder sonstiger Tod im Kindesalter - oft auf viel zu wenig Verständnis und werden von ihrer Umwelt wie Monster behandelt.

Falls du es noch nicht getan hast, google mal nach Sternenkinder oder Schmetterlingskinder.
Besser ev. jedoch erst, wenn es dir wieder besser geht.

Pass gut auf dich auf!
SingleMama - 2007.05.07, 12:19

Danke, Nachbarin, für diese Worte. Wobei ich in letzter Zeit das Gefühl habe, es geht nie vorbei. Doch sicherlich wird es das tun ... vielleicht braucht es einfach nur sehr viel Zeit.

Es tut mir leid, so von dir zu hören. Und ich kann dich verstehen, kann mir vorstellen, was in dir vorgegangen ist und auch noch vorgeht.

Mir hat das Schreiben damals unheimlich gut geholfen. Ansonsten hätte ich es nie im Leben richtig verarbeiten können. Und ich verdamme mich nicht für das, was ich getan habe. Nur in diesen Wochen kommen alle meine Gedanken, die ich seinerzeit hatte, wieder hoch und das tut so furchtbar weh.

Ich gestatte mir auch das Trauern. Mein ungeborenes Kind - egal, warum es nicht zur Welt kam - wird für immer ein Teil von mir sein. Und deshalb zünde ich jedes Jahr am 11. Juni eine Kerze für meinen Stern an. Wären die Umstände damals anders gewesen, hätte ich diesem Kind gerne das Leben geschenkt. Ich habe mir immer ein zweites Kind gewünscht. Nur daß, was meine Tochter bereits mitmachen musste, wollte ich ihm auch nicht antun. Und ich wollte frei sein.

Ich denke an dich!!!
hobo - 2007.05.07, 11:20


SingleMama - 2007.05.07, 12:20

Diese graue Decke liegt wie ein Felsen auf meinen Beinen. Und ich wünsche mir, daß ich entweder genügend Kraft aufbringe, sie wegzustrampeln oder daß sie mir jemand einfach wegzieht.

Danke, daß du immer für mich da bist (auch wenn das hier vermutlich wieder niemand verstehen wird). *umarm*
Pseuspektive - 2007.05.07, 17:01

Meinen Respekt vor dem, was du schon geschafft hast und mein Mitgefühl für dich.
SingleMama - 2007.05.07, 20:36

Danke! Und eigentlich sollte ich mir jeden Tag sagen, daß es schlimmer nicht mehr werden kann, nur noch besser.
WilderKaiser - 2007.05.07, 19:54

Puuhh, heftig. Ich konnte teilweise gar nicht mehr weiterlesen, weil mich einiges doch sehr an Szenen aus meiner eigenen Kindheit erinnert. Ich wünsche dir viel Kraft, Liebe, sonnige Zeiten und umarme dich...LG, WilderKaiser PS: Die Entscheidung für oder gegen ein Kind wird niemand einer Frau abnehmen können. Hier hilft nur geduldiges Zuhören und Verständnis. Und wo das auch nicht mehr gegeben ist, wird es schon sehr schwierig.

SingleMama - 2007.05.07, 20:35

Danke!!!
Manchmal, wenn ich darüber nachdenke, komme ich mir vor, als wäre ich Zuschauer in einem schlechten Drama. Das so etwas passieren könnte, hatte ich zwar gehört, aber ich bin in einem liebevollen Zuhause aufgewachsen (natürlich gab es auch da Probleme) und hätte mir nie träumen lassen, daß ich einmal die Hauptrolle in solch einem traurigen Film spielen würde.
Es ist tatsächlich so, als würden Teile von mir sich davon abgrenzen - vermutlich als Selbstschutz.

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